Das Denkmal der grauen Busse
Symbol für die Opfer der „Euthanasie“
Ravensburg, Marienplatz. An der Bushaltestelle der Linie 3 nach Weißenau sammeln sich die Wartenden: Männer und Frauen, Jung und Alt. Eine heterogene Ansammlung, wie man sie von Haltestellen kennt. Und mitten unter ihnen warten auch Patienten des Zentrums für Psychiatrie (ZfP) Die Weissenau auf den Bus. Hier und heute eine Selbstverständlichkeit. Dass das nicht immer so war, darüber macht sich heute kaum einer Gedanken; dabei ist die Geschichte der Psychiatrie im Dritten Reich, der Mord an hilfsbedürftigen und wehrlosen Patienten, nur etwas mehr als ein halbes Jahrhundert her. Im öffentlichen Bewusstsein ist dieses Kapitel der Geschichte jedoch kaum präsent, zum Teil wird es auch schlicht verdrängt.
Ein Mahnmal für die Weißenauer Opfer
Auch Ravensburg war Teil dieser Geschichte: 691 Patienten der damaligen Heilanstalt Weißenau wurden im Zuge der so genannten „Euthanasie-Aktion“ ermordet. Um die Erinnerung an die Geschichte wach zu halten, haben die Stadt Ravensburg und das ZfP im Sommer 2005 einen Kunstwettbewerb ausgelobt. Horst Hoheisel, Kassel, und Andreas Knitz, Berg, konnten den Wettbewerb mit dem Entwurf „Das Denkmal der grauen Busse“ für sich entscheiden. Am offiziellen Gedenktag für die Opfer des Nationalsozialismus am 27. Januar wird es der Öffentlichkeit übergeben.
Das kaum Fassbare soll durch das Mahnmal in Erinnerung gebracht werden: Im Nationalsozialismus galten psychisch kranke und behinderte Menschen als Belastung, schlimmer noch: als „lebensunwert“. 1939 erließ Hitler persönlich den Befehl zu der so genannten „Euthanasie-Aktion“. Ziel: Das Volk sollte „von der Last der Geisteskranken“ befreit werden - durch deren systematische Ermordung. In der Folge wurden in nicht einmal zwei Jahren, zwischen Januar 1940 und August 1941, in Deutschland 70 000 psychisch kranke und geistig behinderte Menschen ermordet. Auch die damalige Heilanstalt Weißenau war betroffen. In elf Transporten wurden 691 Patienten in den grau gestrichenen Bussen der „Gemeinnützigen Krankentransportgesellschaft“ (GEKRAT) nach Grafeneck auf der Schwäbischen Alb deportiert und am selben Tage in der Gaskammer ermordet.
Das Werkzeug der Täter wird zum Symbol
„Wir hatten, als wir die Bilder der grauen Busse sahen, uns sehr schnell entschieden, mit diesem Werkzeug der Täter an die Ermordung der Patienten aus Weißenau zu erinnern“, sagen die beiden Künstler Horst Hoheisel und Andreas Knitz, „sie waren in den Dörfern und Städten bekannt. Keiner hielt sie auf, obwohl bald Viele von den Todesfahrten wussten.“ Für Hoheisel und Knitz waren sie daher starke Symbole, die eine künstlerische Aneignung geradezu einforderten. Ein anderer Aspekt, der sich in den Vordergrund drängte, war die Präsenz der Busse in der Region. Betroffen von den Geschehnissen waren nicht nur Ravensburg und die ehemalige Heilanstalt. Die gesamte Region wusste von den Transporten. Aus ihr stammten die Opfer der „Euthanasie“-Aktion. So schrieb Heinrich Himmler Ende 1940: „Was geschieht ist ein Geheimnis und ist es doch nicht mehr.“ Das Mahnmal nur an einem Ort zu errichten, obwohl eine ganze Region betroffen war, erschien den beiden Künstlern als unzureichend. Ihr Entwurf sieht daher ein zweiteiliges Mahnmal vor: ein Denkmalbus steht in Weißenau, der zweite soll in die Region hinein wirken.
Der feste Standort für das „Denkmal der grauen Busse“ war bald gefunden: die alte Pforte des heutigen ZfP. „Uns war sofort klar“, erinnern sich Hoheisel und Knitz, „an diesen authentischen, nahezu unveränderten Ort gehörte unser Denkzeichen der Grauen Busse. Wir öffneten mit Brechstangen und langen Hebeln das Tor, hoben seine schmiedeeisernen Flügel über die Wurzelwölbungen der Linde, und plötzlich war die Verbindung zur Stadt wieder da. Die Hauptstraße lief genau auf das wieder geöffnete Tor zu.“
Der Standort für den zweiten Denkmalbus wird sich dagegen stetig ändern – die Erinnerung wird so in die Region getragen. „Er soll immer wieder an anderen Orten auftauchen: in Gemeinden, in Städten, aber z.B. auch auf einer Kuppe in der wunderschönen Alblandschaft“ – so Hoheisel und Knitz. Damit der Denkmalbus in Bewegung bleibt, dafür sind die Verwaltungen zuständig. Bürgermeister und Gemeinderäte müssen diskutieren, entscheiden, sich mit anderen Verwaltungen austauschen. Das Denkmal wird also zum „Verwaltungsproblem“: Welche Stadt will ihn haben und wie lange? Und wie lange überhaupt wird der zweite Bus bewegt werden? Bleibt er irgendwann irgendwo stehen? Und ist dann auch die Erinnerung stehen geblieben? Erinnerung und Gedenken werden sich so immer wieder aufs Neue ihren Platz einfordern.
Erinnerung und Gedenken
Erinnerung ist ein wesentlicher Aspekt der Identität: nicht nur von Individuen, sondern auch von Gesellschaften. Die Frage, woher wir kommen und wohin wir gehen, stellt sich auf der Grundlage unserer Geschichte, unserer Erinnerung. Roman Herzog führte in seiner Proklamation des nationalen Gedenktags aus: „Die Erinnerung darf nicht enden; sie muss auch künftige Generationen zur Wachsamkeit mahnen. Es ist deshalb wichtig, nun eine Form des Erinnerns zu finden, die in die Zukunft wirkt. Sie soll Trauer über Leid und Verlust ausdrücken, dem Gedenken an die Opfer gewidmet sein und jeder Gefahr der Wiederholung entgegenwirken.“ Diesem Anspruch will das „Denkmal der grauen Busse“ gerecht werden. Die Vorsitzende der Jury, Prof. Dr. Stefanie Endlich, Berlin, sieht in dem „Denkmal der grauen Busse“ sogar ein Symbol, das zum unverwechselbaren Erinnerungszeichen für alle Opfer der „Euthanasie-Morde“ werden könnte.
Christina Schwarz
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